Ein junger Kater sah den goldnen Wetterhahn,
Ludwig Heinrich von Nicolay
Der auf dem Turme stand, für wahr und lebend an.
"Welch schöner Wuchs! wie glänzend sein Gefieder!
Das wär ein Bissen! – Doch er regt sich nicht.
Wie kommt es?" – Zephyr haucht, indem er dieses spricht;
Und kreischend dreht der Hahn sich hin und wieder.
Entschlossen schleicht nunmehr der Held
Sich in den Turm, besteigt durch eine Lücke
Des hohen Daches steiles Feld,
Erreicht den Gipfel nun, ballt sich; mit stierem Blicke
Belauert er den Hahn, der, steif und ungestört,
Ihm bald den Kopf und bald den Rücken kehrt.
Nun spitzt der Kater seine Klauen,
Versucht es, sie dem Hahn ins Fleisch zu hauen:
Umsonst; die Klauen fassen nicht.
Des Irrtums überzeuget, spricht
Zuletzt der Kater: "Wie? Von unten schien der Wicht
So rasch und fett. Ich wagte seinetwillen
Das Leben gar. Ich Tor! Er taugt ja nur zum Trillen."
Wie mancher hoher, goldner Mann
Ist, nah gesehn, ein platter Wetterhahn!